Ein Tag wie jeder andere. Ich mache mich auf den Weg zum Dienst. Gute Musik im Radio, ich kann noch einen Moment abschalten, doch dann kommen die ersten Geistesblitze.
Was erwartet mich heute in meinem Dienst? Werde ich eine Pause haben?
Werde ich werdendes Leben würdig begleiten können?
Gestern war ein Dienst wie jeden Freitag, viel Ambulanz, ständige Unruhe, nerviges Türklingeln.Wie wird es heute sein? Haben wir wieder diese leidige Raumnot, zu viele Frauen und zu wenige Räume, wachsenden Unmut unter den Frauen und lange Wartezeit. Schnell ein CTG hier, eine Urinkontrolle da. Mist, vergessen den Blutdruck bei Frau X zu messen. Gut das wir eine Zentrale Überwachung nun haben, da haben wir die Frauen
wenigstens etwas im Blick?! Haben wir das oder haben wir nur die Technik im
Blick?
Ich bin da, in meinem Kreißsaal. Schon auf dem Flur ahne ich es. Es wird heute wieder mal nichts mit einer entspannten Tasse Kaffee nach der Übergabe, einem so wichtigen Austausch unter uns Kolleginnen. Betten auf dem Flur, Licht in allen Sälen, ein bekanntes getoggere der CTG ́s im Hintergrund. Ich höre meine Kollegin vom Frühdienst eine Frau zum Pressen anleiten.
Pressen Pressen Pressen Luftholen und Pressen Pressen
Es klingt wie ein Wettkampf. Anstrengend, laut, mühsam und schwer.
Aaaahhhh nein! Ich möchte umdrehen. Wieder gehen. Was mache ich hier?
10 Minuten später klingt ein schrilles Babygeschrei aus dem Kreißsaal. Mutter und Kind haben es geschafft. Wie - muss mir egal sein. Nach der Übergabe geht der Wahnsinn für mich los.
Wer geht zum geplanten Kaiserschnitt mit? Wer bleibt im Kreißsaal? Wer kümmert sich um die Ambulanz? Der undankbarste Job, für mich, ist der Ambulanzdienst. Ich fühle mich dort
nicht besser als eine überbezahlte Arzthelferin. Anamnesen erfragen, Paare zum Narkosearzt schicken, mir wirre Geschichten anhören warum die Frau nun unbedingt einen Kaiserschnitt will und warum eine normale Geburt für sie das unvorstellbarste der Welt ist. Sorry ich bin Hebamme.
Was genau tue ich da?!
Ich bin ausgebildete Fachkraft für die physiologische Geburt und muss
mir anhören, dass die Vorstellung sein Kind auf dem natürlichstem Weg
der Welt in unsere Mitte zu gebären so gar nicht machbar ist?
Gut, ich habe ja noch die Wahl den geplanten Kaiserschnitt von Frau M., der heute Morgen schon hätte laufen sollen, zu begleiten. Aber macht mich das glücklich? Sich steril anziehen,
ein empörtes Menschenkind in die Arme gelegt zu bekommen. Es dann sofort den
Kinderärzten zu übergeben und es dann, wenn ich Zeit hab, der Mama für 3 min an die Wange zu legen? Dazu bin ich die Fachfrau für Physiologische Geburt nur notwendig? Mir traut man nicht mal mehr die Erstversorgung eines Neugeborenen zu. Aber bonden soll ich immer und überall. Wer bondet mich als Hebamme bei solch einer Geburt. Ich bin manchmal mindestens genauso empört wie das Menschenkind.
Trotzdem bin ich froh über die Sicherheit des Kaiserschnittes. Den letzten Weg, wenn es doch nicht ganz so klappt wie ich es weiß, dass es klappen kann. Dann heute der Griff in die Wundertüte.
Ich entscheide mich für den Verbleib im Kreisssaal - komme was wolle!!!!
Und es kommt wie es will. Ring Ring Ring. Geklingel an der Tür, CTG Kontrolle, Telefonnachfragen. Gefühlte 1000 am Tag. Frauen die verunsichert sind. Frauen die traumatisiert sind. Frauen die einfach schrecklich sind. (Darf das eine Hebamme so sagen?)
Männer die fordernd sind und Ärzte die unbedingt nur mit Ärzten sprechen wollen. In meinem Job entscheidet ein Klingel und ein Türöffnen über das so wichtige Arbeitsbündnis für das Wunder der Geburt. Die Beziehung zwischen 2 Menschen entscheidet sich in den
ersten 3 Sekunden. Manchmal denkt man sich, oh nein, das geht ja gar nicht. Aber wer hat die Wahl?! Keine von uns. Die Frau - wie auch ich - müssen dann da durch, 8 lange Stunden lang. Heute hab ich Glück. Da steht sie. Eine Frau mit guten Wehen Glücklich. Froh gebären zu
dürfen, weil das erste Kind eingeleitet werden musste und in einer Saugglockengeburt endete. Sie ist guter Laune. Guter Hoffnung und ich auch. Ich geleite sie und ihren Mann in den Kreißsaal. Die Chemie zwischen uns stimmt. Wahnsinn. Sie arbeitet gut. Veratmet die Wehen im Stehen vor dem Bett. Möchte keine Schmerzmittel. Braucht sie auch nicht, denn ich habe gerade Zeit sie zu unterstützen. Ihr Mut zu machen sich auf das Wagnis Geburt einzulassen mit evtl. einem anderen Ausgang als beim ersten Kind.
Ihr Mann ist da. Präsent aber nicht aufdringlich. Sie sind ein gutes Team. Die Herztöne des Babys sind super. Nach 30 min mache ich das CTG ab. Sie möchte noch etwas laufen gehen. "Gerne doch", denke ich mir, denn gerade brauche ich den Kreißsaal für eine andere werdende Mama.
Dann folgt die nervige Bürokratie und Dokumentation der 1000 Zettel die sorgfältig ausgefüllt werden sollten zur Zufriedenheit aller anderen Stationen. Das Paar geht spazieren und ich weiß genau, das wird nicht lange dauern dann klingeln sie erneut. Das macht mir jetzt etwas Druck, weil ich möchte Zeit für sie haben. Also schnell die übliche Routine abarbeiten. CTG Kontrollen schreiben. Wehencocktails mischen. Auffüllen der leeren Schubladen, die Bestände des Lagers überprüfen, gelieferte Medikamente einräumen, weitere Paare versuchen auf ihrem Weg zur Geburt zu begleiten, Telefonanrufer freundlich
begrüßen, die wartenden Frauen in der Ambulanz nebenbei noch vertrösten, den schon kalten Kaffee von der Übergabe trinken und noch viele unzählige Dinge mehr. Und nur knapp eine Stunde später steht sie wieder vor der Tür. Die Wehen sind stärker. Man sieht ihr die Arbeit an. Die Wangen sind rot, das veratmen der Wehen wird lauter. Wo jetzt hin mit der Frau? Sie braucht jetzt Schutz und Intimität, tja aber ich habe keinen Kreißsaal frei. Sie veratmet die Wehen an der Wand angelehnt vor der Kreißsaaltüre im Augenschein aller wartenden Menschen und der vorbeilaufenden Besucher.Ich komme ins Schwitzen denn ich werde meinen Idealen nicht mehr gerecht. Mist. Also gut dann doch die CTG Kontrolle der anderen werdenden Mama nach 20 min beenden. Dieser Frau höflich aber bestimmt vermitteln, dass alles ist in Ordnung ist und wir am Abend
nochmal eine Kontrolle schreiben. Weil...(ich könnte schreien) ich brauche ihren Kreißsaal. JETZT!!!
Kurzer Wäschewechsel. Fenster auf und die Frau mit den kräftigen Wehen auf ihrer Geburtsreise darf nun endlich ihr Geburtszimmer, Kreißsaal 4, beziehen.
"Ich bin gleich für euch da" sind meine Worte, weil es klingelt gerade erneut. Die nächste ambulante Schwangere fragt nach der Hebammenliste gleichzeitig klingelt es in Kreißsaal 1. Ich überreiche der Schwangeren die Liste mit dem Hinweis, dass es schwierig wird jetzt noch eine Hebamme zu finden, verabschiede sie und hechte in Kreißsaal 1. Die Schwangere muss aufs Klo. Aber natürlich. "Den Flur runter, letzte Tür auf der linken Seite, ich komme gleich wieder zu ihnen", sind meine Worte. Die Gebärende in Kreißsaal 4 fängt an zu tönen. Ich kenne die Stimmlagen gut, weis das die Wehenarbeit nun sehr heftig ist. Ich müsste jetzt eigentlich mal kurz im Kreißsaal auftauchen um sie zu ermutigen das sie das alles schafft aber mir fehlt die Zeit. Ich muss kurz ans Telefon:" Infoabende sind immer am 1-3 Dienstag im Monat...usw...."
Die Schwangere ist vom Klo zurück. Dauert es noch lange bis der Arzt Zeit hat?, fragt sie. Ich sage die Ärzte stehen noch im OP kommen aber bestimmt bald. Erneut klingelt es an der Tür.
Ok, aufmachen und freundlich entspannt lächeln immer mit den Hintergrundgeräuschen der tönenden Frau aus Kreißsaal 4.
"Ja bitte, wie kann ich helfen? "Mein Frauenarzt schickt mich ich soll mal eben vorbeischauen."
Super Idee lieber niedergelassener Gynäkologe. Wieder kommen freundliche, verständnisvolle Antworten über meine Lippen. Und immer das tönen der Gebärenden im Ohr. Ich muss zu ihr.
"Wie ist der Muttermund bei Frau N. in Kreissaal 4", fragt mich die liebe Assistenzärztin. Meine Antwort:" Bei Aufnahme 4 cm." "Wie und jetzt?", sie guckt mich erstaunt an. "Keine
Ahnung wie er jetzt ist aber du hörst sie. Sie macht das toll. Sie veratmet die Wehen. Du hörst doch das der Muttermund weiter auf ist. "Sie ist laut. Will sie keine PDA?" fragt die Ärztin.
"Wie sie ist laut? Und nein sie möchte keine PDA. Sie braucht diese Möglichkeit nicht. Sie und ihr Mann machen das toll. Sie sind ein Team.", erwidere ich.
Schrecklich ist eine Geburt immer nur mit PDA möglich? Immer nur in Seitenlage mit Beinhalter oder noch besser in Rückenlage? Darf ich auch einfach mal geduldig sein und Dynamik mit Dynamik unterstützen?
Ich muss jetzt in diesen Kreißsaal. Dieses Paar hat es schon längst verdient eine Hebamme bei sich zu haben. Ich gehe mit ruhigem Schritt leise in den Kreissaal...es herrscht die verzaubernde Stimmung, das Geburtsgeschehen steht kurz bevor. Man merkt der Frau die Geburtsarbeit an. Sie macht das wunderbar. Lässt sich führen durch die ihren Körper. Die Wehe rollt an, bäumt sich auf und ohne sich zu wehren veratmet die Frau die Welle der Geburt. Sie ist bereits in ihrer eigenen Trance. Es bedarf nun Ruhe und Achtsamkeit. Ich sitze nur daneben und beobachte. Staune.
Rumps - geht die Kreißsaaltür auf. Die Kinderschwester muss kurz durch den Kreißsaal zur Reaeinheit durch. Draußen klingelt es und die Frau aus Kreißsaal 1 steht auf dem Flur. Nichts mit Ruhe. Ich verlasse den Ort des Zaubers nur widerwillig aber ich muss. Wieder an die
Tür...das Telefon....die anderen Frauen. Wo bleibt da die 1:1 Betreuung? Die, die alle fordern.Alle gut finden. Als Evidenz bezeichnen. Die 1:1 Betreuung die alle wollen aber keine Gebärende in der Klinik hat. Ich muss jetzt wirklich endlich mich um die Gebärende kümmern. Ich schleiche mich erneut respektvoll in den Geburtsraum. Ich möchte kein
Eindringling sein. Gut das ich komme, denn der Körper hat es sich nochmal überlegt, er legt noch einen Zahn zu. Die Wehen sind nun Kraftvoll, schmerzhafter. Sie überrollen die Gebärende. In ihren Augen erkenne ich Angst. Angst das es wieder nicht klappt. Ihre selbstbestimmte Geburt nicht schafft. Ich gebe ihr Zuversicht. Bestätige sie in ihrem
"Frausein". Ihrer Intuition. Ihrer Kraft. Sie ist hoffnungslos. Wird laut.
"Ich will nicht mehr. Das klappt eh nicht."
Sie sieht blass und ausgezehrt aus. Die Phase der Verzweiflung meist gefolgt von der aktiven Geburt. Dem in die Kraft kommen. Ich weiß sie hat es gleich geschafft. Sie glaubt mir nicht.
"Du redest Mist, das dauert noch ewig."
"Nein, Vertraue mir. Glaub mir." (haha...Wie denn? Einer Hebamme die sie seit wenigen Stunden erst kennt. Die kaum präsent sein konnte?) Sie gibt mir einen Vertrauensbonus. Da kommt die nächste Wehe - und -
Rumps...geht die Kreißsaaltür auf. Die Ärztin kommt sich vorstellen, das würde sich doch schon ganz gut anhören. Toll gearbeitet. "Wie ist der Muttermund Anja?" "Bei der Aufnahme war er 4 cm", erwidere ich erneut. "Dann untersuche jetzt mal bitte, ich brauche einen Befund für die
Übergabe."
Ähm, nein sicher nicht. Hier wird gleich ein Kind geboren. Ob der Muttermund jetzt 9 oder 10 cm ist, spielt nun keine Rolle mehr. Augen rollend zieht die Ärztin ab. Beim Tür öffen höre ich das, das Telefon klingelt. An der Kreißsaaltür hat schon zweimal geläutet und ich
denke nur:" Muss mir jetzt egal sein, denn diese Paar hat nun ein Recht auf meine Anwesenheit. Gut das meine Kollegin wieder aus dem OP zurück ist. Sie steckt kurz den Kopf durch die Kreißsaaltür. Ich kommuniziere ihr, dass das Kind kommt und ich jetzt hier bleibe. Tür zu und Ruhe. Genau Ruhe ist auch bei den Wehen. Jede Störung, jede noch so kleinste Ausschüttung von Adrenalin unterbricht den Körper in seiner Geburtsreise, seiner Arbeit.
Jeder weiß das aber es scheint keinen mehr zu interessieren. Ökonomie, Zentralisierung, Abarbeiten - Individualität schwer zu gewähren. Kurze Zeit zum Kraft schöpfen. Nach der Ruhe folgt der Sturm so meine Erfahrung, die ich immer wieder auch an das Paar weitergebe. In der Aufrechten warten wir ab.Und da ist der Neuanfang, die Kraft der Wehe. Die Geburt beginnt erneut heftig und kraftvoll,gefolgt vom enormen Druck des Köpfchens. Das Menschenkind will geboren werden. Es schiebt und drängelt. Mutter und Kind werden eine Einheit. Diesen Druck kann Frau nicht entkommen. Frau kann ihn nicht veratmen. Frau muss ihm nachgeben. Die Gebärende mobilisiert all ihre Kraft. Sie geht in ihre Intuition und hilft ihrem Baby durch sanftes aber
bestimmtes Schieben durch den doch echt engen Geburtsweg, der sich nun selbstverständlich öffnet und uns die ersten Haare zeigt. Sie macht das toll. Arbeitet mit ihrem Körper, ihrem Kind in ihrem Tempo. Ihr Mann ist da. Wachsam und ebenfalls Kraftvoll. Er stützt sie. Er motiviert sie Er erkennt die Leistung an. Ich habe nichts weiter zu tun als zu bestärken, Impulse zu geben und das Wunder von Außen zu betrachten. Immer mehr Haare werden sichtbar.
Kein anfeuern. Kein anleiten. Kein Anbrüllen. Kein Wettkampf. Den eigenen Rhythmus der Frau zulassen.
Ganz im Gegenteil, ich muss sie bremsen in ihrer Kraft. Nicht zu viel. Nicht zu schnell. Ich muss sie kurz ermahnen werde aber niemals laut. Dann dieser eine kurze Moment des totalen
Spannungsgefühl und der Kopf ist geboren. Welch eine Erleichterung. Was schon jetzt ein Moment. Nur zwei Wehen später liegt es da. Zwischen den Beinen der Mama die in den Armen Ihres Mannes hängt. Es ist vollbracht, das enschenkind ist geboren. Nicht wirklich in Ruhe und Würde (die ich so gerne für es ermöglicht hätte) aber aus eigener Kraft der
Mutter.In diesem beseelte Raum steht für einen kurzen Moment die Zeit still. Die Rührung der beiden. Der Stolz des Mannes auf seine Frau und das Bestaunen des gemeinsamen Kindes hat diesen Moment verdient. Ich sitze am Boden vor der Gebärenden und verneige mich in Demut vor Ihr und der Natur.!!
Genau darum bin ich Hebamme. Fachfrau für die Physiologische Geburt. Eine von vielen weisen Frauen.
Rumps, geht die Kreißsaaltür auf. Die Ärztin kommt zu spät. Tja vlt. gut oder auch nicht. Ich jedenfalls bin glücklich, glücklich eine Hebamme zu sein und werde mich weiter dafür einsetzen das sich unsere Geburtskultur wandelt.